Ein gefährliches Leben

Wenn man sich näher mit den abenteuerlichen Wanderungen des Aals beschäftigt, taucht irgendwann die Frage auf: Wie können die gnadenlos effizienten Mechanismen der Evolution zu einem derart aufwändigen und anstrengenden Lebenszyklus führen? Die Antwort ist einfach, auch wenn sie unseren zwangsläufig engen, menschlichen Horizont übersteigt: Weil es sich trotz allem lohnt!

Das Erfolgsrezept der räumlich getrennten Lebensphasen ist die optimale Nutzung von Ressourcen und das Verringern von Risiken. Das ist seit Jahrmillionen eine lohnende Strategie, doch sie entwickelt sich zum Risiko, sobald einer der benötigten Lebensräume knapp oder die Mobilität behindert wird. Beides geschieht in der Schweiz seit dem Ende des 19. Jahrhunderts. Seither sind die meisten Wanderfische bei uns ausgestorben und der Aal steht auf der Roten Liste.

Die Schweiz ist leider ein lehrreiches Beispiel, wie Wanderfische auf menschgemachte Veränderungen reagieren. Bevor Rhein, Rhone und Ticino von Wasserkraftwerken und ihren Wehren verbarrikadiert wurden, erreichten Millionen von Wanderfischen unser Land und bereicherten den Speisezettel: Lachse, Meerforellen, Maifische, Neunaugen, Störe und Aale. Heute blockieren Dutzende von Kraftwerkswehren die grosse Hochzeitsreise vom Meer in die Alpen. Das ist nicht nur ein ökologischer, sondern auch ein wirtschaftlicher und kultureller Verlust für die Schweiz!

Der Aal ist der vitalste und hartnäckigste aller Wanderfische, und einige tausend Exemplare erreichen die Schweiz trotz diverser Hindernisse bis heute. Es besteht deshalb immerhin die berechtigte Hoffnung, dass sich die Bestände wieder erholen, sobald die Wanderwege des Aal wieder durchgängiger werden.

Vom Aussterben bedroht - die Gründe

Der Aal war einst einer der häufigsten Fische in den Fliessgewässern und Seen Europas. Sein Nachwuchs stieg in gewaltigen Schwärmen in die Flussmündungen auf. Die Beschreibungen dieser gewaltigen, schleimigen, sich windenden Masse klingen wie Horrorliteratur.

In Holland und anderen Küstenländern nutzte man diesen scheinbar unendlichen Überfluss aus dem Meer zeitweise zum Düngen der Felder. In Frankreich und auf der iberischen Halbinsel galten die Glasaale hingegen als Delikatesse:  Sie wurden mit grossem Appetit erwartet und mit feuchtfröhlichen Festen gefeiert. Der Mensch neigt zu Unvernunft und Kurzsicht, wenn er mit reichen Ressourcen konfrontiert wird...

Selbst tausend Kilometer rheinaufwärts nach einer Reise von mehreren Jahren war die Ankunft der Jungaale ein beeindruckendes Schauspiel. Abertausende der kleinen "Wasserschlangen" schlängelten sich den Ufern entlang ihrer neuen Heimat entgegen.

Der starke Rückgang der Aalfänge, der seit den 1980er-Jahren in ganz Europa beobachtet wird (Mehr als 50 Prozent bei den abwandernden Silberaalen und 95 Prozent bei den Glasaalen), hat Ursachen, die auch für viele andere Fischarten ein Problem darstellen.

                                                                                                                       

1. Barrieren: Die intensive Nutzung der Wasserkraft schuf mit Stauwehren zahllose Barrieren, welche die Wanderungen der Aale und diverser anderer Fischarten in einem Gewässersystem behindern oder sogar verunmöglichen.

2. Überfischung: Der Aal ist seit Menschengedenken eine begehrte Beute in all seinen Lebensstadien. Das hat die Zahl der fortpflanzungsfähigen Individuen stark verringert. Als Reaktion ist der Aalfang im EU-Raum seit 2007 stark eingeschränkt oder verboten.

3.  Prädatoren: Fisch fressende Vögel wie Kormoran oder Reiher lieben den Aal. Er hat das ideale Format, um ihn auch in grösseren Kalibern mühelos herunter zu schlucken. Dasselbe gilt für Raubfische. Hecht und Zander jagen den Aal bei Gelegenheit mit eindrücklicher Aggressivität. Eine bedrohliche und noch wenig erforschte Rolle spielt der Wels, der eindeutig von der Klimaerwärmung profitiert und sich in manchen Gewässern stark ausgebreitet hat.

4. Gewässervergiftungen: Fahrlässige oder bewusste Einleitungen, wie sie in landwirtschaftlich intensiv genutzten Regionen zur Tagesordnung gehören (Gülle!), töten jedes Jahr unzählige Fische, darunter auch die besonders empfindlichen Aale.

5. Chronische Gewässerbelastung: Die Vielzahl von chemischen Substanzen (Pestizide, Medikamentenrückstände), die ins Wasser gelangen, bedeuten besonders für langlebige Fische wie den Aal ein Gesundheitsrisiko. Sorgen bereiten beim Aal all jene Stoffe, die sich im Körperfett ablagern und stoffwechselaktiv werden, sobald diese Reserven genutzt werden, also während der Wanderung oder bei der Fortpflanzung.

6. Klimawandel: Die messbare Erwärmung der Schweizer Gewässer und die Veränderung des Abflussregimes hat vielfältige Auswirkungen auf die Fische.

Nicht alle sind negativ. So nimmt in manchen Gewässern die Produktion von Biomasse zu. Das verbesserte Futterangebot führt zu robusteren Populationen.

Zu den riskanten Entwicklungen gehören die Zunahme hitzebedingter Fischsterben, die Zunahme extremer Hochwasserereignisse, die Ausbreitung von neuen Krankheitserregern sowie die aus evolutionsbiologischer Sicht ungewöhnlich schnelle Veränderung der Unterwasserflora und -fauna.

 

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